Die Geschichte des FC Schalke 04 ist in den vergangenen Jahren geprägt von immer neuen Horror-Diagnosen. Der Absturz des einstigen Riesen erschreckt ganz Deutschland. Er scheint unaufhaltsam. Doch dann verpflichtet der Klub einen Wunderheiler. Er entpuppt sich als das Gegenteil eines Scharlatans.
Als der FC Schalke 04 im Mai 2025 von seinen Anhängern mit einem "Historisch schlechteste Platzierung - Schöne Sommerpause Ihr Versager"-Spruchband in die Sommerpause verabschiedet wurde, musste sich die Fußballwelt große Sorgen um den Pott-Giganten machen. Die Königsblauen waren mit Ach und Krach über die Ziellinie gestolpert. Der 14. Rang in der zweiten Bundesliga in der Saison 2024/2025 war, so viel lässt sich fünf Monate später bereits sagen, das vorerst letzte Signal des ewigen Niedergangs des Traditionsklubs.
Ein Wunderheiler namens Miron Muslic hat sich der Sache angenommen. Seine Bilanz? Atemberaubend. Sein Geheimnis? Das absolute Verständnis für einen Klub, den lange niemand mehr verstehen konnte. Mit acht Siegen aus zehn Ligaspielen hat der Österreicher mit bosnischen Wurzeln bereits jetzt fast so viele Saisonsiege gesammelt wie seine Vorgänger Karel Geraerts, Jakob Fimpel und Kees van Wonderen in der gesamten letzten Spielzeit. Mit nunmehr 24 Punkten fehlen nur noch 14 Punkte zur letztjährigen Ausbeute. Aus einem Absturzkandidaten wird ein Aufstiegskandidat.
Karaman: "Wir glauben alle dran"
Muslic hat auf Schalke ein Monster erschaffen. Eines, das sich vielbeinig auf den Gegner stürzt. Eines, das dem Gegner die Luft zum Atmen raubt. Eines, das vom Chor der nunmehr nicht mehr nur in den wildesten Träumen vom Aufstieg träumenden Verrückten in der Veltins Arena angetrieben wird. Es ist ein königsblaues Monster ohne Gnade. So wie am Freitag beim 1:0 (1:0) gegen den SV Darmstadt. Ein Spiel, das den FC Schalke 04 zumindest für eine Nacht zurück an die Tabellenspitze katapultierte (die Highlights hier auf RTL+).
"Wir wollen den Gegner intensiv stören. Wir wollen die Ideen wegnehmen und uns dann selber belohnen. Und das haben wir auch geschafft, direkt in den ersten Minuten mit dem Treffer und mit unserem Pressing", schwärmte Kapitän Kenan Karaman nach dem Spiel in der Mixed Zone. Dort hatte er im Mai mit roten Augen gestanden und über seinen Schmerz geredet. Der ist längst der absoluten Überzeugung gewichen. "Natürlich hat der Trainer uns sehr geholfen, hat uns viel mitgegeben, eine Handschrift mitgegeben, eine Idee mitgegeben und wir glauben alle dran", sagte Karaman.
Der frühe Treffer, über den Karaman sprach, war bereits in der neunten Minute gefallen. Ein traumhafter Steckpass des Neuzugangs Soufiane El-Faouzi, ein überlegter Abschluss von Moussa Sylla, eine Welle der Euphorie. Sie trug Schalke 04 durch den Rest des Spiels.
Die Schalker Schlüssel zum Erfolg
Den 23-jährigen Mittelfeldspieler El-Faouzi hatte der chronisch klamme Klub im Sommer in der dritten Liga bei Alemannia Aachen ausgegraben. Er ist eine Symbolfigur für den Wandel in Gelsenkirchen. An der Seite von Ron Schallenberg brilliert der gebürtige Siegener mit Auge, Selbstbewusstsein und Technik. Hinter ihnen räumt die von der Kante Nikola Katic organisierte Abwehr ab. Noch so ein Neuzugang, von Plymouth Argyle. Und wenn alles schiefgeht, steht mit der einst tragischen Figur Lloris Karius einer der besten Keeper der 2. Bundesliga im Tor. Er trichtert seinen Gegenspielern die Angst vorm Abschluss ein.
Alles aber wäre nichts ohne Trainer Muslic. Den hatte der neue Schalke-Boss Frank Baumann beim englischen Zweitliga-Absteiger Plymouth Argyle aufgespürt. Wenige Monate später hat er bereits Kultstatus in Gelsenkirchen. So wie sich seine Spieler auf dem Platz in jeden Zweikampf schmeißen und in der Verteidigung immer einen Mann mehr gegen den Gegner stellen, so leidenschaftlich hat Muslic seine neue Umgebung umarmt.
Der Muslic-Plan
Unter der Woche sah man ihn auf Sky das alte Schalker-Lied von den Reisen durch Europa singen. Das Lied von den Siegen gegen Roda, gegen Trabzon, gegen Brügge sowieso klang nicht peinlich, nicht anbiedernd, nicht bemüht. Es kam aus seiner Seele. Mit der hat er sich dem Verein verschrieben. Mit der erreicht er die nach Glück begehrenden Herzen der seit Jahren den Sturzflug der Knappen begleitenden Anhänger. Halb im Scherz sprechen diese bereits von einem Denkmal für Muslic. So weit ist es natürlich noch lange nicht.
Egal. Der Muslic-Plan begeistert. Er ist auf den ersten Blick recht simpel: Pressen bis zum letzten Mann. Es findet sich bislang niemand, der ihn stoppen kann. Das wird sich ändern. Siegesserien dauern nicht ewig. Doch für das Jetzt, für diesen Moment, ist der Plan perfekt. Er wird ohnehin entwickelt. Der komplette Fokus auf defensive Stabilität wurde längst mit spielerischen Elementen verfeinert.
"Grundsätzlich schauen wir nicht nach hinten. Wir haben einen Schlussstrich gezogen über die letzte Saison und sogar die letzten beiden Saisonen", sagte Muslic jetzt nach dem Sieg gegen Darmstadt. "Wir haben einen neuen Weg eingeschlagen. Eine neue Dynamik, ein neues Gemeinsam. So treten wir auf jedes Spiel. Deswegen haben wir auch eine Chance, dass wir Bundesligaspiele gewinnen." Noch sind es nur Spiele der zweiten Bundesliga. "Wir lassen die Fans weiterhin träumen und wir fokussieren uns auf die Arbeit am Platz", sagt der 43-Jährige. Das ist der Muslic-Plan, der aus Versagern längst Hoffnungsträger gemacht hat.
Quelle: ntv.de
